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Sunshine: Es ist keine Kunst, es ist keine Hobby-Gestaltung, es ist keine Outsiders Art, ist kein Design, es ist nicht Unterhaltung. Es hat etwas mit der Gegenwart zu tun,  ...

 

A: Ich möchte anfangen. Aber überall nur Ambivalenz. Ich versuche mich an der Aufrichtigkeit festzuhalten. Aber Aufrichtigkeit kann nur heißen, die Ambivalenz darzustellen. Und auch die Möglichkeit der Aufrichtigkeit ist zu hinterfragen.


Sunshine: Müsste ich die Arbeit von Andreas Woller mit einer möglichst kurzen Formel beschreiben, würde ich es mit der folgenden - paradox anmutenden - versuchen: Zeitdiagnose durch Introspektion. Denn die meisten seiner Projekte befassen sich im Kern mit einigen wenigen inneren Landschaften, in denen sich die Verhältnisse und die Atmosphäre der aktuellen Gesellschaft spiegeln.


A: ... eine Art Atmosphäre der aktuellen Gesellschaft, allerdings nicht unbedingt die alltägliche Atmosphäre, die man sofort wahrnehmen kann, sondern eher eine Art Tiefen-Atmosphäre oder Hintergrund-Ton, der wirkt, als enthielte er verschlüsselte Botschaften über Strukturen und Dynamiken - ich meine vor allem auch über das Kommende.


Sunshine K.II: Liste der Gegenwartsmomente, die in den Arbeiten anzutreffen sind / Möglicherweise tatsächlich als Liste in den Text einbringen: Totale Trashzusammenhänge als Habitat nicht tot zu kriegender Seelen, die ganze Welt simultan in meiner unmittelbaren Nähe, Erwartung der Ankunft von etwas Unbekannten, Postapokalypse, Direktverbindung zum ephemer Privaten irgendwo in der Welt, die Durchdringung jeder Erfahrung mit einer Kakophonie medial vermittelter Information, glitzernde Zentren umgeben von Verwüstung, Verlorenheit, Kälte, Unübersichtlichkeit, öde weite Peripherien, die glänzende Leere der Artefakte, Verschwinden des Unberührten.

A: Das Intimste von irgendwelchen Leuten irgendwo auf der Welt direkt vor meiner Nase. In "The Chelsea Girls" ist das schon da. Wenn man sich das genau vorstellt, hat es etwas dunkel überwältigendes. Ich habe einmal ein Interview mit einem ehemaligen Henker in den USA gesehen. Dort erzählt der, wie eines Nachts plötzlich alle in seinem Zimmer standen. Daran erinnert mich das jetzt komischerweise ...

... meine Augen stehen nach innen und dieses Innen ist direkt ans Internet angeschlossen, in dem ich suchtartig gesellschaftliche Information aufnehme, Zeitung inklusive Kommentarleisten, soziologische Vorlesungen, Interviews mit irgendwelchen Leuten, Blogs .... .

F: Egal wie weit man läuft, man wird immer auf den hochenergetischen Schmutz der Zivilisation treffen. Ich meine nicht Dinge, sondern durchsichtige Stoffe, die mit der Psyche reagieren, und den Teil in dir nieder drücken, der ... ja was überhaupt .... unabhängig ist ... oder soll ich sagen: sein Bürgerrecht vom Regen, von den Bergen, von den Wäldern bezieht, wenn dir das nicht zu kitschitg ist, jedenfalls bist du dann sofort einsortiert in die Hierarchie, und sonst bleibt nichts mehr übrig, auch wenn du, sagen wir, in einer Hütte in Sibirien wohnst, ich meine, dein Wert läßt sich dann in einer Zahl ausdrücken, und das ist keine große Zahl, sondern eine kleine, beschämende, lächerliche, weil du einfach doch nicht genug Geld angehäuft hast zum Beispiel, oder sogar wirklich massiv abgeloost hast, was im Grunde auch gar keine Rolle spielt ....

 

Sunshine K.II: (Möglicherweise zu persönlich). Die Angst, die aus der Arbeit des Künstlers spricht, scheint mir zum Teil in seiner letztlich privilegierten sozialen Position begründet zu liegen. Als typischer Vertreter der Mittelschicht tritt ihm die Gesellschaft als Chance und Bedrohung gegenüber. Nicht als unabwendbare Tatsache des Mangels, die daher keine Angst mehr auslöst, sondern als Feld potenzieller sozialer Übel und als Feld potenzieller Befreiung von allen sozialen Übeln. Typisch deutsch muten mir, nebenbei gesagt, die Spurenelemente der deutschen Romantik an, die immer wieder an zu treffen sind, in der Arbeit selbst, aber auch in den vorliegenden Äußerungen des Künstlers zu seiner Arbeit.

 

Sunshine: Damit eng zusammen hängt wohl sein Interesse für den Raum – im Wortsinn – in dem sich die Gedanken und Empfindungen bewegen. Angenommen, man könnte das, was im Kopf geschieht, von außen wirklich sehen und ertasten, mit welcher Art von „Gestalt“ hätte man es da zu tun, mit welcher Logik der Formen usw.? Ich vermute, dass viele seiner Arbeiten in ihren räumlichen Eigenschaften so etwas wie die Geometrie des Bewusstseins aufgreifen.

A: Man kann das natürlich im Prinzip nicht "sehen", nicht nur deshalb nicht, weil es da ein Hinderniss gibt. Gedanken sehen ist ein wenig wie Geschmäcker sehen. Aber trotzdem haben die Gedanken als Erscheinung genommen Eigenschaften, die auch das Visuelle als Erscheinung genommen, aufweist, nur dass diese Eigenschafen eben nie Eigenschaften von Gesehenem sein können.

Sunshine: Ein weiteres wiederkehrendes Motive in der Arbeit des Künstlers ist sicher das der „Wohnung“ im weiten Sinn. Wohnumgebungen treten hier jedoch nicht als behagliche Schutzräume auf, sondern als fremdartige, temporäre und prekäre Orte. Die Umgebungen changieren in ihrer Anmutung zwischen Kaputtheit und zerbrechlicher Schönheit und erzeugen einen narrativen Sog, der mit der Aura von Intimität zusammenhängt, die allen Zeugnissen privaten Lebens anhaftet.

A: Müll steht für mich ganz allgemein für das Ausgeschlossene, Abgewertete, Verachtete. Weil ich, wie alle, das ausgeschlossen sein fürchte wie verrückt, steckt für mich in den Konnotationen des Mülls eine Menge negativer Energie. Diese Energie soll nun umgewandelt werden in ästhetische Energie, also wie eine Art Geschmacksverstärker wirken. Müll (und alle Arten von Fundmaterial) wird in meiner Arbeit also nicht auf seinen materiellen Aspekt zurück geführt und sozusagen semantisch bereinigt. Er bleibt soziales Zeichen.

Sunshine: Offensichtlich fühlt sich der Künstler darüber hinaus zu einer räumlich (nicht so sehr zeitlich) weit ausgebreiteten imaginativen Struktur hingezogen, wie sie beispielsweise in der Literaturgeschichte durch den Text des „Ulysses“ repräsentiert wird. Die Blätter der Serie „Le Grand Bloc“ stellen im Ganzen so etwas dar und ebenso das digitale Projekt „Taufkirchen“.

A: Vielleicht versuche ich meine Arbeit auch noch einmal von einem anderen Blickwinkel aus zu beschreiben und sage: Die meisten meiner Arbeiten beschreiben eine Utopie, einen Nicht-Ort. Es geht in den Arbeiten darum, was für eine Art von Ort das ist, aber auch dass es eben ein Ort ist, also eine große Gesamtheit räumlich verteilter Gegebenheiten. Es handelt sich um eine Utopie zwischen den Zeilen der gewöhnlichen Wirklichkeit. Ein Ort, den es nicht so ohne weiteres gibt, der aber vielleicht da ist, ohne das man ihn bemerkt. Ein Ort der nicht einfach innen ist und auch nicht einfach aussen. Ein Ort der sehr abgelegen ist, aber voll von dem Zeug, das die Gegenwart ausmacht. Ein Ort, der nicht so fahl und leer ist, wie das, was ich da draußen sehe. Ein Ort, der in seiner Ontologie nicht unbedingt so verfasst ist, wie das mechanistische Weltbild Wirklichkeit auffasst. Der die wahre Hölle sein kann und der wahre Himmel. Und für mich hat das – nicht unbedingt in der Hauptsache, aber doch auch - eine Beziehung zu der Ahnung, dass im Großen eine neue Welt herauf zieht, die wahrhaft fremde und damit unheimliche Eigenschaften aufweist. Jedenfalls suche ich etwas an diesem peripheren Ort, von dem ich gar nicht genau weiß, was es ist. Ich suche es so, als ginge es um alles. Unter anderem suche ich aufgrund von Auswegslosigeit, frivoler Auswegslosigkeit in Anbetracht durch und durch privilegierter Stellung. Ich glaube, es handelt sich um einem Ort, an dem das, was Heidegger das Man nennt, überhaupt nicht oder nur als Schatten anwesend ist. Die Art dieses Ortes, nicht das, was dort geschieht, oder vielleicht auch nur die Tatsache, dass überhaupt solch ein Ort dargestellt wird, bringt es mit sich, dass in den Arbeiten fast immer wenigstens ein wenig Hoffnung gegenwärtig ist. Was diesen Ort selbst betrifft, ist meine Arbeit beinahe Monothematisch und kreist um das immer gleiche. Andererseits entfaltet sich an diesem Ort ein sehr vielfältiges Geschehen. Wenn es überhaupt etwas spezielles an meiner Arbeit gibt, dann ist es die Qualität dieses Ortes. Und wenn das nicht speziell ist, dann vielleicht der Umstand, einen solchen Ort mit dem Zeug an zu füllen, das die Gegenwart ausmacht.

 

Ego (triumphierend): Ein Archiv des inneren 21. Jahrhunderts!

 

Sunshine: Was das Verhältnis zu seinem Publikum betrifft, will seine Arbeit vor allem nicht dem Paradigma der „Kommunikation mit dem Betrachter“ im Sinne einer "Präsentation und Deutung von Zeichen" unterworfen sein. Die Objekte, die er produziert und in Räumen platziert, sollen Gefühle gleichsam „als sie selbst“ im Raum manifestieren, so dass sie Teil eines erweiterten Körpers des Betrachters werden können. Es geht darum, das Zeichen zu vermeiden und vollständig konkret zu sein, und trotzdem so etwas wie narrativen Gehalt – nicht zu transportieren – sondern in die Welt zu stellen. Das entscheidende Mittel hierzu ist gar nicht unbedingt die Verräumlichung der Erfahrung durch umgreifende Installationen, obwohl er dieses Mittel auch und unterstützend verwendet, sondern das Feilen an der ästhetischen Feinstruktur.

 

A K.II: Das (in dem beschriebenen Sinn) ästhetische Objekt ist von seiner Umgebung eigentümlich abgehoben. Es ragt aus der Umgebung heraus. Es bricht die Kontinuität der als Erscheinung gegebenen Dinge. Nicht dadurch, dass es in seiner Struktur, in seinen Farben und Formen usw. grundsätzlich anders ist, sondern dadurch, dass alle diese Eigenschaften in der Erfahrung anders gegeben sind. Gleichzeitig gleicht die Erscheinungsweise des ästhetischen Dings der des eigenen Körpers („Körper“ soll hier das Denken und Empfinden einschließen), so dass das ästhetische Ding gewissermaßen eine Art Tunnel in der phänomenalen Wirklichkeit erzeugt, durch den der eigene Körper mit einem Ding in seiner Umgebung zusammengezogen wird. Zur besonderen Erscheinungsweise des ästhetischen Dings gehört daher, dass es realer ist als die anderen Dinge, die in der Erfahrung begegnen.

 

A K.III: Es ist schwierig, über die eigene Arbeit zu schreiben, wie jeder weiß, der das schon einmal versucht hat. Was soll da die Wahrheit sein? Man muss das, was man da in seiner Arbeit tut, erst erforschen, anders als, aber auch ähnlich wie eine andere Person das tun müsste. Die Gedanken, Impulse, die mit der eigenen Arbeit in Verbindung stehen, verändern sich, und zugleich verändert sich ihre Sichtbarkeit für den eigenen Blick. Man bewegt sich in einer Wolke beweglicher Interpretationen. Und sobald man einmal zu oft „warum“ fragt, wie Kinder das tun, blickt man in das Dickicht des Lebens, das in der Zeitspanne dieses gleichen Lebens nicht zu durchdringen ist.


In formaler Hinsicht kann man die Methode des Künstlers mit einer wichtigen Einschränkung nach wie vor als postmodern bezeichnen: Sie verbindet Rekontextualisierung und Rekombination, angewandt auf die Vielfalt der visuellen Sprachen, die in der Kunstgeschichte anzutreffen sind. Dies geschieht jedoch gerade nicht im Geist der Ironie, der Distanzierung und der sekundären Reflexion, sondern im Gegenteil mit der Absicht, ganz im Ernst etwas über das hier und jetzt aus zu sagen.

 

A: Ich will diesen Reichtum der Mittel einfach einsetzen können, die Farbschlieren des Expressionismus, die Mehransichtigkeit des Kubismus, die Art, wie die Figuren in einem spätgotischen Bild im Raum sind - einfach alles, was es gibt ... ich möchte zurück gehen zu den ursprünglichen Werkzeugen, und sehen wie man sie heute nutzbar machen kann, anstatt diese Werkzeuge nur von oben zu betrachten und klug in Beziehung zu irgend etwas anderem zu setzen. Kann die Malerei des Futurismus zum Beispiel heute wieder ein Mittel sein, um die Gegenwart zu beschreiben?

 

Sunshine: Hauptkern, Hauptquelle und Versuchslabor der Arbeit des Künstlers ist eine seit 2011 kontinuierlich fortgesetzte Serie von malerisch überarbeiteten Collagen, die man als fiktionale Mikroerzählungen lesen kann. Jedes Blatt geht von einer ephemeren Situationen aus, die irgendwo in der Weite der gegenwärtigen Weltgesellschaft verortet ist. Gezeigt werden Sekunden verdichteter Erfahrung, in der eine größere Struktur, also eine Lebenssituation, eine Mentalität, ein Beziehungsgeflecht, eine Biografie usw. mit anwesend ist. In der Summe entsteht ein Chor marginaler Stimmen und mit etwas Glück ein Archiv kultureller Atmosphären der jeweiligen Gegenwart. Formal stehen die Arbeiten in der Tradition eines erweiterten Kubismus, den man mit Umberto Boccioni als Mittel verstehen kann, Wirklichkeit in der Moderne - und heute kann man sagen: auch dem, was auf sie folgt - zu beschreiben. Dargestellt wird nicht eine irgendwie verfremdete und abstrahierte aber letztlich doch fotografisch kohärente Gegebenheit, sondern ein dissonanter Zusammenklang von real verteilten Zeiten, Orten, Blickwinkeln, Empfindungen und Gedanken. Das Innere und das Äussere fließen ineinander, eine Trennung von Subjekt und Objekt wird nicht vorgenommen. Gemeinsam ist den Blättern, dass sie die Besonderheiten des medial reproduzierten Bildes als differenziertes Vokabular nutzbar machen. Ausleuchtung des fotografischen Motivs, Unschärfen, Brennweiten, Glanzeigenschaften des Drucks, Papierqualitäten usw.: Eine Vielzahl von Momenten dieser Art geht in die Ästhetik und den Gehalt der Darstellungen ein. Der Ort, den die Blätter damit aufrufen, ist letztlich das mit Empfindungen durchtränkte Sediment, das der Bilderstrom der Medien im Gedächtnis hinterlässt. In Ausstellungen werden ausgewählte Teile der Serie in raumgreifende Installationen integriert, die zugleich als Display und als narrative Fortsetzung fungieren.

 

A: Es ging einfach nicht, die Blätter an die Wand zu hängen. Das war total unbefriedigend. Ich glaube, das liegt daran, dass sie nicht als Objekt funktionieren. Etwas, das nicht als Objekt funktioniert, möchte ich nicht ausstellen. Also mussten sie mit etwas, das als Objekt funktioniert, verschmelzen. Ich glaube, das war der eine Grund und so hat es bei mir auch überhaupt erst mit den installativen Arbeiten angefangen. Ein anderer Grund hat mit dem Fokus der Aufmerksamkeit zu tun. Ich wollte, dass man in das, was auf den Blättern ist, eintaucht, so dass jede weitere Umgebung verschwindet. Dadurch, dass die Blätter in eine Installation eingebettet sind, verlieren sie gewissermaßen eine Grenze oder einen Rand, und das begünstigt in gewisser Weise auch, dass in der Erfahrung, die man mit ihnen macht, die Umgebung erst einmal eine geringer Rolle spielt. Wenn sie einfach an der Wand hängen, gibt es eine klare Grenze: hier das Blatt, dort die Umgebung. Und deshalb ist es schwer, die Umgebung aus der Erfahrung auszuschließen. Stößt man aber gar nicht auf eine Grenze, dann wird das Mitdenken der Umgebung weniger provoziert. Es gibt natürlich nach wie vor eine physische Grenze zwischen Blatt und Restinstallation. Aber beides ist Teil desselben ästhetischen Systems und insofern löst sich die Grenze auf. Vielleicht würden viele Leute sagen: Aber wenn es eine Grenze gibt, dann ist es doch einfacher, sich nur auf das zu konzentrieren, was innerhalb der Grenze liegt. Aber ich denke, die Grenze beinhaltet bereits, dass es ein Jenseits der Grenze gibt. Wenn es keine Grenze gibt, beinhaltet der Bereich, auf den man fokusiert, kein Jenseits dieses Bereichs, und falls doch, dann auf eine andere Weise, die mich weniger stört.

A K.III: Das ist jetzt alles so ganz „postmodern“. 90er oder so. Verschränkte Ebenen, Metaperspektiven, Brüche, Crossover usw.. Natürlich kann niemand auf diesem Gebiet David Foster Wallace das Wasser reichen. Ich schon gar nicht. David Foster Wallace gehört vielleicht in gewisser Weise auch schon zu dem Übergang zu etwas neuem. Zu etwas das ernster und entschiedener ist und mehr bodenhaftung hat. „DFW“ hat diese ganze Sache bereits über die Ironie hinaus geführt, und allen Ernstes davon gesprochen, dass seine Arbeit aus Liebe hervorgeht, wenn sie gut ist. Das hat er wirklich gesagt und ich traue mich kaum zu zu geben, dass ich das im Grunde auch so sehe. Über diese Angst, bzw. die Scham genau so etwas zu sagen, das nicht kühl-ironisch ist und dadurch immer irgendwie überlegen und unangreifbar, hat er ebenfalls regelmäßig gesprochen und einen Weg gesucht, von einer solchen Prämisse her zu arbeiten, ohne kitschig und abgedroschen zu sein, was nicht einfach ist.

Sunshine: Ich möchte nun versuchen, die Arbeit des Künstlers mit einem sehr weiten Blickwinkel zu betrachten, auch wenn wir uns hiermit auf spekulatives Gebiet begeben. Die meisten heute arbeitenden Künstler folgen im Grunde irgendeinem in der Moderne entwickelten Paradigma. Spätestens um 1980 herum endet die Phase der echten (und scheinbar "gerichteten") Neuerungen im Rahmen der Moderne. Das Motiv der Neuerung hat im Grunde ausgedient und es macht keinen Sinn, so zu tun, als könnte man sich noch an diesem orientieren. Den eigentlichen Kern der Moderne (und ebenso der Postmoderne, wenn man diesen Begriff akzeptieren möchte) bildet aber nicht das bloße Motiv der Neuerung selbst, sondern - etwas allgemeiner - die Selbstbezüglichkeit des Systems Kunst der Moderne. Selbstbezüglichkeit soll heißen, dass Arbeiten in der Moderne sich wesentlich oder sogar gänzlich dadurch begründen, wie sie sich zu den anderen bereits existierenden Arbeiten sowie vor allem dem Diskurs, der sich um diese Arbeiten gebildet hat, verhalten. Auch diese Bewegung des Selbstbezugs befindet sich schon lange im Leerlauf. Sie erweitert das begriffliche Feld, durch das die Kunst sich selbst versteht, nicht mehr entscheidend. An die Stelle von Neuerung und Erweiterung des begrifflichen Feldes ist dabei vielfach eine Intensivierung, Schärfung, Vertiefung usw. der bestehenden Paradigmen getreten, so dass man den aktuellen Zustand der Kunst vielleicht auch als eine Art späten Höhepunkt beschreiben kann.  Als Beispiel hierfür kann die Art dienen, wie Matthew Barneys Cremaster Cycle an Momente des Surrealismus anknüpft. Gleichzeitig wird heute für die westlichen  Gesellschaften im Ganzen von vielen Soziologen und Historikern konstatiert, dass sie sich im Übergang zu etwas möglicherweise radikal Neuem befinden. Eindrucksvoll sind hierzu etwa die Analysen von Timothy Snyder. Diese Parallele ist nun ziemlich interessant und es lohnt sich zu fragen: Müsste dies nicht zur Folge haben, dass "Künstler" mehr und mehr damit  beginnen, sich ausserhalb dessen zu stellen, was heute als "Kunst" bezeichnet wird, was unter anderem eben bedeuten könnte, aus dem Spiel der Selbstbezüglichkeit des Systems "Kunst der Moderne"  aus zu steigen? Eine solche Bewegung sehe ich in der Arbeit des Künstlers zumindest angedeutet, da dieser ja tatsächlich viel stärker an Realitäten interessiert zu sein scheint, inneren wie äußeren Realitäten, als an der Beziehung seiner Arbeiten zum materiellen, institutionellen und diskursiven Prozess der westlichen Kunst. Mich erinnert das ein wenig an das Aufkommen der neuen Sachlichkeit, das heißt genauer den sogenannten Verismus. Die deutsche Gesellschaft Ende der 20er Jahre steht vor einem schrecklichen Umbruch und befindet sich in einer Zeit der Krise, die auf einen ersten großen Schub der Globalisierung, des ungehemmten Kapitalismus und des Anwachsens sozialer Ungleichheit folgt, welcher in der Kunst mit einer Abfolge von Neuerungen einher gegangen war, einer programmatischen Kunst, die den Diskurs über die Kunst in den Mittelpunkt stellt. An diesem Punkt treten nun die Veristen auf, und wollen der Realität wieder zu ihrem Recht verhelfen.

 

A: Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit meiner Arbeit überhaupt „Kunst machen“ möchte. Gleichzeitig möchte ich keinen der typischen Wege jenseits der Kunst einschlagen: Gestaltung als Hobby, die subjektiv abgekapselten Entäußerungen der Outsiders Art, Popkultur. Vielleicht versuche ich, etwas zu machen, das in einem ganz neuen sozialen Zusammenhang, den ich noch nicht kenne, der aber vielleicht schon im Entstehen begriffen ist, eine neue Art von Rolle spielen wird. Aber das ist eine seltsame Hoffnung. Es ist natürlich schon wichtig, die aktuelle Kunst und den aktuellen Kunstbetrieb zu studieren und so weit es geht zu verstehen. Aber um so mehr ich das tue, desto mehr bekomme ich den Eindruck, dass es unmöglich geworden ist, noch sinnvolle Beiträge zu liefern. In gewisser Hinsicht ist es deprimierend ...

... aber bevor man auf ganz andere Kontexte hofft, in denen "Bilder" und Verwandtes einmal eine Rolle spielen könnten, muss man auch ganz klar sehen, was die Rolle des Künstlers heute nach wie vor ist. Ich zitiere einmal einen bekannten Soziologen zu diesem Thema:

 

„Unternehmen verkaufen heute zunehmend Erzählungen, um Leuten, die schon alles haben, was sie brauchen, noch irgend etwas andrehen zu können. Dadurch gewinnen in der Gesellschaft all jene an Bedeutung, die in irgendeiner Form emotional aufgeladene Zeichen produzieren. Innerhalb des urbanen Milieus, das die Experten der Produktion von Identität stellt, nimmt wiederum der bildende Künstler eine zentrale Stellung ein. Er arbeitet im Versuchslabor und ist zugleich der früheste Early Adopter. Er ist die konsequenteste Ausprägung des Typus. So entsteht der erstaunliche Eindruck, die marginale Figur des bildenden Künstlers spiele eine bedeutsame Rolle in der Gegenwartsgesellschaft.

Entsprechend hat der Konsument in den meisten seiner Lebensbereiche heute zunehmend individuell zu sein, zumindest wenn er bestimmten derzeit kulturprägenden Milieus angehört. Das leistet er, indem er sein Leben unter Verwendung disparater Quellen „kuratiert“ - siehe die Internet Seite „Freunde von Freunden“. Der Künstler kann auch in diesem Zusammenhang als Rollenmodell auftreten, da dieser ja ohne weiteres jeden Teil seiner Existenz der Profanität entreissen kann, in dem er ihn zum Aspekt seines Produktionsprozesses erklärt und das ist gewissermaßen die Maximalversion dessen, was die anderen versuchen. Gleichzeitig ist die Identitätskonstruktion des Künstlers für alle anderen unerreichbar, da dieser mit einer Art metaphysischem Ritterschlag versehen ist (ein Fest für den Narzissmus) der zumindest unter der Hand immer angenommen wird, auch in den ganz aktuellen, aufgeklärten, politischen und konzeptuellen Formaten. Immer schwingt nämlich die Annahme mit, dass die Kunst mit etwas äußerst Grundsätzlichem zu tun hat, das mehr oder weniger alle Menschen angeht und das rückt die Kunst in die Nähe der Metaphysik. Der Künstler ist also mit einer Art Zauberstab ausgestattet, der jedem Aspekt seines Lebens Glanz verleihen kann, was sicher der feuchte Traum des Lifestyle Kurators ist, insbesondere vor dem Hintergrund real prekärer materieller Bedingungen.

Zugleich wandelt sich das institutionelle Idealbild des bildenden Künstlers. Es wird dem eines Quasi-Angestellten angeglichen, der an eine Unternehmenshierarchie gebundenen ist, aber trotzdem ganz für sich selbst verantwortlich ist. So spricht man etwa zunehmend von schematisierten Karriereverläufen, in denen es Statusmarkierungen wie die sogenannte Mid-Career-Exhibition gibt. Die Künstler greifen das bereitwillig auf, und können dem Jungunternehmer oder dem Unternehmensberater in Sachen Selbstoptimierung und strategischer Karriereplanung mittlerweile ohne weiteres das Wasser reichen. Dem entspricht auf der Seite der Institutionen natürlich der wachsende Einfluss von privaten Sammlern, die ihre Sammlungen mehr und mehr auch unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachten.“

 

Da kann man vielleicht sagen:  Was soll´s, es ist ein Rausch. Die dynamische Rückkopplungschleife zwischen dem Körper und der äußeren sinnlichen Manifestation in einem vibrierenden, kochenden, hochstufigen, prekären Gleichgewicht.

Der Soziologe sagt weiter:

 

„Das Bild des schematischen Karriereverlaufs ist natürlich nur die unerreichbare Banane, die dem wild entschlossenen Künstler vor die Nase gehalten wird und damit pure Ideologie. Denn nach wie vor hängt der Markt an ein einem Starsystem, das die Exklusion fast aller Teilnehmer voraussetzt, um die Besonderheit seltener Menschen und Erzeugnisse mit Höchstpreisen vergolden zu können.

 Alles in allem ist der Künstler also ein Fall von Humankapital wie es sich das einzig wahre Kapital wünscht. Er verausgabt sich bedingungslos unter Einsatz aller seiner Kräfte und Leidenschaften. Es kümmert ihn kaum, dass das Spiel, das er spielt, nur eine handvoll Gewinner hat, die fortan in ihren Palästen sitzen und das Spiel interessant und unterhaltsam finden. Denn die statistisch unerhebliche Aussicht, einst selbst zu diesen Gewinnern zu gehören, hält ihn aufrecht. Er glaubt fest daran, dass der Erfolg an seinen höchst persönlichen Taten hängt, denn dieser Glaube gibt ihm die Hoffnung, ohne die er nicht arbeiten könnte. Dass er seines Glückes Schmied zu sein hat, und kein Recht auf Unterstützung irgendeiner Art besitzt, begreift er als willkommenes Heldentum, das den Glanz seines Ruhmes einst noch heller strahlen lassen wird. Aber, so könnte man fragen, wer hat sie schon gezwungen Künstler zu werden?“

 

Trotzdem, sage ich mir manchmal: Es gibt einen schlichten und unmittelbar evidenten Auftrag. Das Herstellen, Betrachten, diskutieren usw. der Arbeit kann eine in sich sinnvolle Handlung sein, so wie einen Freund zu treffen, oder mit seinem Kind zu spielen. Die Arbeit muss so sein, dass die Handlungen, die mit ihr zu tun haben, auf diese Art sinnvoll sind. Aber dann ist da wieder dieser Anspruch! Etwas machen, das auf der Höhe der Zeit ist, etwas machen, dass es noch nicht gibt, etwas machen, dass ästhetisch dicht ist und inhaltlich tief und relevant usw.. Der Soziologe sagt ausserdem:

 

„Und man könnte weiter fragen: Warum ist der Künstler so versessen darauf, in dem etablierten Kunstbetrieb eine Rolle zu spielen? Warum sucht er sich nicht einen einträglichen Beruf und betreibt die Kunst neben her, als angenehme Beschäftigung? Denn das, was man heute Kunst nennt, ist im Grunde ein völlig, man möchte sagen, „luftiges“ Phänomen. Der Begriff Kunst wird heute so verwendet, als könnte man die verschiedenen Objekte, die man in den Büchern der „Kunst“-Geschichte findet ohne weiteres der gleichen Kategorie zuordnen. Danto vertritt die Auffassung, dass das Wesen des Kunstwerkes in seiner Rolle in einem bestimmten sozialen System besteht. Trifft das zu, hat ein Gemälde, das Rubens im Auftrag der Kirche gemalt hat, ziemlich wenig mit einem Gemälde von Neo Rauch zu tun, das an einen amerikanischen Sammler verkauft wurde. Aber auch, wenn man die Objekte selbst betrachtet, die heute als Kunst gelten, ist es schwer durchgängige Gemeinsamkeiten zu finden, die eine eigene Kategorie von Ding begründen könnten. Das gilt bereits für die Werke der Gegenwart und noch mehr gilt es, wenn man weiter in der Zeit zurück geht. Man ist also versucht zu sagen: Kunst existiert überhaupt nicht. Vielleicht ist es möglich, für die Gegenwart eine soziale Gesamtheit abzugrenzen (ein Feld, ein System usw. – man braucht eine soziologische Theorie um diese Gesamtheit genauer zu bestimmen), das zumindest so weit eine Einheit darstellt, und zudem bestimmte besondere Eigenschaften aufweist, das man sie als den einen "Kunstbetrieb" der Gegenwart bezeichnen kann. Dann könnte man die Objekte, die in diesem Kunstbetrieb eine bestimmte Rolle spielen, als die heute existierenden Kunstwerke bezeichnen. Diese Art von sozialer Gesamtheit ist historisch neu und entsteht im 19. Jahrhundert. Sie ist eng verbunden mit der bürgerlichen Gesellschaft und damit auch mit dem Kapitalismus als Wirtschaftsform. Das hat die Konsequenz, dass die Gegenwartskunst nicht nur in ihren Institutionen sondern auch in den zentralen Begriffen ihres Selbstverständnisses eng mit der kapitalistischen Wirtschaftsform verbunden ist. Führt man sich die Kontingenz des sozialen Phänomens Kunstbetrieb vor Augen, kann man sich leicht vorstellen, dass dieser ohne weiteres wieder verschwinden kann, und mit ihm die Kunstwerke als Kunstwerke (nicht unbedingt die entsprechenden materiellen Objekte). Die Gesellschaft muss sich nur hinreichend stark verändern und das könnte in einer gar nicht so weit entfernten Zukunft geschehen.“

 

​Mir fällt noch einmal der Henker ein, bzw. ein anderer Artikel den ich gelesen habe. Es ging da um eine Frau in den USA, die zu Hinrichtungen von Serienmördern fährt, weil diese nur durchgeführt werden dürfen, wenn ein bestimmte Zahl von Zeugen anwesend ist, welche sich aber oft nicht finden. Die Verurteilten dürfen tatsächlich zum Schluss noch etwas sagen, so wie man sich das vorstellt, und da gibt es offenbar Muster, Dinge die immer wieder gesagt werden. Fast alle sprechen laut der Frau in dem Artikel zum Beispiel von Liebe. Ich weiß nicht ob das irgendetwas zu bedeuten hat.

 

"Einmal hielt ich es nicht aus und platzte laut heraus vor Lachen. Alle wendeten sich entsetzt zur Flucht - der eine durch die Tür, der andere durchs Fenster, der dritte direkt durch die Wand. Wieder allein, stand ich in meiner ganzen mächtigen Grösse auf, öffnete den Mund und sagte: - Prin prim pram.
Aber da knirschte irgendetwas in mir, und seitdem könnt ihr denken, es gibt mich nicht mehr."

 

Daniil Charms, in „Fälle“, 1936.

A. Sunshine, September 2018

 

 

 

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